Es ist meine zwölfte Reise seit 2003 durch die immer wieder faszinierende Karibikinsel. Also schaue ich auch genau hin, um die Unterschiede zu erkennen. Fotografisch bietet Kuba immer noch ein Füllhorn an Motiven. Nirgendwo sonst gibt es so viele Möglichkeiten, Reportage, Streetfotografie und Portrait zu fotografieren wie hier. Es gibt auch interessante Landschaften, doch treten die in den Hintergrund bei dem Angebot, Menschen – im wahrsten Sinne – in den Fokus zu rücken.
Die Menschen sind in ihrer lebensfrohen Art die gleichen gebliebenen. Im Alltagsbild hat sich jedoch einiges geändert. War vor 14 Jahren noch kein Handy zu sehen und das Internet in den besten Hotels nur mit Registrierung zu nutzen, so versammeln sich heute hunderte an den hotspots zum Surfen. Es sind vor allem die Jungen, die einen Blick hinaus in die Welt erhaschen wollen.
Noch immer aufrechte Helden
Die Alten dagegen schleppen sich wie eh und je durch den Alltag. Sie scheinen zu wissen, dass es keine angenehmere Welt geben wird in absehbarer Zeit. Viele von ihnen sind dem System auch treu geblieben, wissen die Änderungen zu schätzen, die ihnen die Revolution von 1958/59 gebracht hat. Für sie sind Fidel und Che noch immer die aufrechten Helden, die sie vor dem Joch Batistas befreit haben.
Die neuen Machthaber warfen die US-Amerikaner aus dem Land, enteigneten große Konzerne, die die Insel ausbeuteten. Auch die Brut an Kriminellen und Mafiosi merzten sie aus. Das haben viele nicht vergessen.
Und trotz allem verfielen sie von einer Diktatur in die andere. Mag es auch zum Wohl des Volkes gemeint gewesen sein, aber Diktatur bleibt Diktatur.
Seitdem Raul Castro seinen Bruder Fidel 2008 als Maximo Lider abgelöst hat, freuen sich die Menschen zunehmend an Erleichterungen. Ein Hauch von Marktwirtschaft weht seither über die Insel. Kleine Unternehmer können jetzt auf eigenen Rechnungen arbeiten, und sogar die legale Ausreise ist erlaubt. Leisten können sich das aber nur wenige. Vermieter der Casa Particulares dürfen jetzt mehr als zwei Zimmer in ihrem Haus vermieten. Es gibt kleine Läden, in denen Handys, Computer und Gegenstände des täglichen Lebens angeboten werden. In den großen Städten haben sich Eisdielen, Pubs und sogar Boutiquen in Fußgängerzonen niedergelassen.
Aber es zeigt sich nach wie vor das Bild von Armut und Hoffnungslosigkeit. Die kleinen schiefen Hütten sind genauso dem Verfalll preis gegeben wie die einstigen Prachtbauten in Havanna und Santiago. In den Häusern wohnen sowohl Stolz als auch Verzweiflung.
Ärzte bringen Devisen
Über allem stehen die Errungenschaften in Bildung, Kultur, Sport und Medizin. Letztere ist neben dem Tourismus die wichtigste wirtschaftliche Stütze des Systems. Über 30 000 Ärzte sich weltweit im Einsatz, um Devisen einzubringen oder ihre Arbeit in die Lieferung von Rohstoffen und Konsumgütern aufzuwiegen.
Aktuell herrscht eine Stimmung zwischen Hoffnung und Verzagtheit. Der vorige US-Präsident Obama bereiste als erstes Oberhaupt Kuba seit dem Embargo. Das löste bei vielen Kubanern – und US-Amerikanern – Freude und gar Euphorie aus. Seit Trumps Präsidentschaft ist in dem subtropischen Land wieder Kälte zu spüren. Ich frage mich: Wann wird dieses unmenschliche Embargo, die Ausgrenzung dieser wunderbaren Menschen endlich beendet? Sie haben sich nichts zu Schulden kommen lassen, sind friedfertig, gastfreundlich und viele von ihnen gebildet.
Unsere Fahrt beginnt in Havanna. Zwischen Prachtbauten und verfallenen Palästen der früheren Zuckerbarone finden wir viele spannende Motive des Alltagslebens. Bei Tag und am Abend nach Einbauch der Dunkelheit können wir uns nicht satt sehen und Szenen einfangen, die nur hier real sind.
Fahrradrikschas und qualmende Lastwagen
Wir begegnen dem hyper-gestylten Paar im Rotlichtviertel genau so wie Männern, die sich per Alkohol in Verschläge geflüchtet haben, die als Unterkunft und Werkstatt dienen. Überall Fahrrad-Rikschas, qualmende Lastwagen, die einem schon beim Anblick ihrer schwarzen Auspuffwolken den Atem lähmen.
Das Gegenteil erwartet uns beim nächsten Reiseabschnitt im Vinalestal, dieser bizarren Landschaft mit ihren Mogotes. Diese Riesenkalksteingebilde gibt es auf der Erde nur hier und in China. Die Luft ist rein hier und die Menschen sind entspannter als in der Großstadt. Wie bei jeder Reise schauen wir vorbei bei einem kubanischen Barbetreiber, der perfekten Schweizer Dialekt spricht. Ein langer Aufenthalt in der Schweiz macht es möglich. Wir besuchen eine Tabakfarm, eine Zigarrenmanufaktur und fahren dann weiter gen Osten.
Wie ein Film läuft das Geschehen vorbei an uns beim Blick aus unserem Bus. Eine Autobahn, auf der uns auf unserer Seite Fahrräder, Ochsenkarren und Kutschen entgegenkommen. Unser Reiseleiter Manuel erzählt uns vieles über Land und Leute und sorgt mit seinen Späßen immer wieder für Erheiterung. Fahrer Julio Zesar (heißt wirklich so) hat das betagte Gefährt fest im Griff und findet mit seiner jungenhaften Art viel Sympathie.
Nach Zwischenaufenthalten in Santa Clara und Camagüey erreicht wir Holguin. Wir sind im Osten Kubas angekommen. Hier ging einst Columbus an Land, wurden einige Befreiungskriege entfacht und nahm die große Revolution ihren Lauf. Der Osten gilt als das ursprüngliche Kuba, die Metropole Santiago als Geburtsstunde es Son, dem der Salsa und anderen typisch kubanische Rhythmen folgten.
Warmer Regen
Uns fällt vor allem der schlechtere Zustand der Straßen hier im Osten auf. Vor allem der 70 Kilometer lange Abschnitt von der Nickelstadt Moa nach Baracoa senkt die Höchstgeschwindigkeit oft auf 20 bis 30 km/h. Wir nehmen es gelassen, ist halt ein wenig Abenteuer zur Abwechslung. Ebenso entspannt reagieren wir auf den Regen, der uns seit Tagen begleitet. Es ist schließlich ein warmer Regen, der ein wenig Abkühlung bringt in den ansonsten subtropischen Tagen.
Für uns Fotografen macht das Nass viele Motive markanter. Der Glanz auf den Oberflächen und die Spiegelungen in Pfützen sorgen für spezielle Effekte.
Die Stimmung in der Gruppe kann der Regen nicht verflachen. Wir sind einfach ein Superteam, immer bestens versorgt mit Späßen und Witzen. Jeder ist für den anderen da, Alleingänge gibt es nicht. Die Bilder können sich mit zunehmender Dauer sehen lassen. Die Zeit für die Bildbearbeitung ist knapp durch lange Fahrten, Bildbesprechungen müssen improvisiert werden, finden aber zunehmend Gefallen,- auch bei denjenigen, die zum ersten Mal unterwegs sind mit uns. Für unsere Stammkunden sind die gemeinsamen Besprechung ein Muß, das von keiner Reise wegzudenken ist.
Kuba hautnah
In Baracoa finden wir urkubanisches Leben und damit besondere Motive. In einem Tatoo-Studio bereitet sich ein junger Mann auf ein weiteres Körperbild vor. Er wirkt angespannt, will es sich jedoch nicht anmerken lassen. Die beiden jungen, hübschen Frauen („Die sind Beide meine Mädchen“) haben auf Stühlen neben der Liege Platz genommen und begleiten das Gezeter ihres „Helden“ mit Kichern und Lachen. Der stolze Jüngling findet immer wieder einen Ausweg, um die schmerzhafte Prozedur hinaus zu schieben.
Die Szene findet am Vormittag statt. Als ich am Abend noch einmal an dem Studio vorbei komme, ist die Mission gerade beendet. Dann macht er sich auf durch den Ort und lässt sein frisches Tatoo und seinen Mut feiern. In der Aufregung vergisst er seinen beiden Freundinnen,- denen jetzt nicht mehr zum Lachen ist.
Es regnet wahre Sturzbäche. Es bieten sich Szenen, die ich so noch nie auf Kuba erlebt habe. Vor allem in der Dämmerung und Eintritt der Dunkelheit wirkt das Leben auf den Straßen wie in einem surrealen Film. Große Pfützen bilden sich, in denen die Menschen teils bis zu den Knöcheln im Wasser stehen. Ein junger Mann rettet sein Motorrad in eine Arkade, um es danach liebevoll mit einem Tuch vom Wasser zu befreien.
Überrascht bin ich von unserer vorletzten Station, der Metropole des Osten, Santiago. Die Stadt sei ursprünglicher wie der ganze Osten der Insel. Das hatte ich wohl falsch interpretiert. Ich erwartete noch mehr heruntergekommene Häuser und tristeres Leben als in Havanna. Aber nein, die Stadt wirkt aufgeräumt, sauber und strahlt Lebensfreude aus. Wir werden Zeuge eines Schachturniers, schlendern die Einkaufsstraße entlang und finden auf Märkten ein reichhaltiges Angebot.
Bewacht die Kuh
Das Ende der Reise verbringen wir in dem Badeort Guardalavaca. Übersetzt heißt das „Bewacht die Kuh“. Und das war auch nötig in den Zeiten der Seeräuber, die mit Landüberfällen ihren Frischfleisch-Bedarf deckten.
Wir genießen die letzten Tage unserer Reise am Strand und merken jetzt, dass wir doch so einiges hinter uns gebracht haben. Aktive Erholung nennt man das. Jetzt gibt’s noch einmal eine passive Erholung.
Und zum Schluss natürlich eine weitere Bildbesprechung, mit der wir die interessanten zweieinhalb Wochen noch einmal in Bildern an uns vorbei ziehen lassen. 18 Tage, die wir wohl nie vergessen werden…